Kontrollierte Entropie

von Ulf Schleth

12. 2. 2016 – im Neuköllner „Projektraum für Konvergenz in und um Berlin entstehender und arbeitender kultureller Gemeinschaften und transdisziplinärer Gruppen“ SPEKTRUM ist nach Lucio Capece und Bryan Eubanks, die den leisen und langsamen Prozess der Enthüllung elektroakustischer Schönheit hörbar machen, auch Wolfgang Spahn mit seiner Klangperformance ENTROPIE zu Gast.

Die Leinwand füllt sich kaleidoskopisch mit Blasen, Farben und Schlieren. Flächen überlappen sich, Rotationen wischen über alles hinweg. Der Klangteppich hat rhythmische Phasen, die zuweilen in eine Art Herzrhythmusstörung übergehen, sie aber auch wieder verlassen. Die Aufmerksamkeit wird irritiert durch die Motorengeräusche des Projektionsapparates, in dem sich Flüssigkeit bewegt. Er ist nur eine Komponente von mehreren, die auf verschiedene Weise miteinander verbunden sind und eine große Maschine bilden. Alles steht miteinander im Zusammenhang. Zirpende, filigrane Klänge dringen durch kreischende Störgeräusche, die das Gehirn in Alarmbereitschaft versetzen und wirken ihnen beruhigend entgegen. Sofort werden sie sichtbar, so daß das Gefühl entsteht, in einem Organismus zu sitzen und ihn von innen her zu betrachten. Harmonie wird zerstört, wieder hergestellt und wieder zerstört, ein natürlicher Lebensvorgang. Läßt man los, gibt man die Kontrolle auf und läßt dem eigenen assoziativen Hören, Fühlen, Denken freien Lauf, wird man zu einem Teil dieser Maschine. Sogar Atemfrequenz und Herzschlag folgen streckenweise der Dramatik der Spahnschen optoakustischen Noisemaschinerie.

Der 45jährige Spahn stammt aus Bayern und lebt seit 25 Jahren in Berlin. Künstlerisch beschäftigt er sich schon früh mit kinetischen Lichtobjekten. In den 90er Jahren begann er in Zusammenarbeit mit verschiedenen Klangkünstlern, sich mit Videokunst und Projektionen zu beschäftigen. Wie bei den meisten solcher Projektionen und Musikvideos waren auch für Spahn Klang und Bild getrennt – es ging darum, durch Synchronisation die Illusion zu schaffen, beides würde zusammengehören. Spahn arbeitete viel mit anderen Noise-Künstlern zusammen, insbesondere mit dem in London und Berlin lebenden Martin Howse. Auf experimentelle elekronische und Noise-Musik muß man sich häufig erst einlassen, bevor man Differenzen und leise Töne wahrnehmen kann. Die direkte Verknüpfung mit einer visuellen Darstellung erleichtert dem Publikum den Zugang. Deshalb wurde Spahn mehr und mehr selbst zum Noise-Musiker und verkoppelte Klangerzeuger und Projektion, so daß sie sich gegenseitig steuerten und so keine Synchronisierung mehr nötig war. Die elektronischen Schaltungen, die er zum Erzeugen der Klänge in seinem Weddinger Atelier entwirft, setzt er mit einem eigenen, einfachen System um; er druckt sie auf Papier aus und klebt sie auf handelsübliche Hartpapier-Experimentierplatinen. Die ausgedruckten Vorlagen stellt er als Open-Source der Allgemeinheit im Internet zur Verfügung.

Spahns Schaltkreise. Foto: Ulf Schleth

Spahns Schaltkreise. Foto: Ulf Schleth

Der Begriff Entropie stammt aus der Thermodynamik. Er wird häufig vereinfachend als Synonym für Unordnung und Chaos verwendet, wurde von Informationstheorie und Sozialwissenschaften übernommen und fasziniert weltweit zahlreiche Künstler, nicht zuletzt dank des Schriftstellers Thomas Pynchon.  Wolfgang Spahn verwendet für seine Entropie sowohl analoge als auch digitale Elemente. Für seine Projektionen setzt er unter anderem mit farbiger Miniaturmalerei versehene CD-Rohlinge und Ferrofluide ein, spezielle Metalle, die in Flüssigkeit schweben und durch Magnetfelder bewegt werden können. So werden in der Entropie Klangsignale in Licht und Projektion um- aber auch wieder in andere Klangsignale zurückgewandelt. Auch die Licht- und Videosignale der Projektionen und die Magnetfelder der für deren Bewegungen mitverantwortlichen Elektromotoren werden mit Tonband-Magnetköpfen abgenommen und dem klanglichen Gesamtkunstwerk wieder zugeführt, verstärkt und wieder ausgegeben, wodurch auch die Projektion wieder verändert wird. In dieses Gesamtsystem greift Spahn kontrollierend ein, filtert und moduliert, so daß das Klangerlebnis dem Publikum zugänglich bleibt und er auf andere Umstände wie das künstlerische Umfeld, in diesem Fall den zerbrechlichen Vortrag von Capece und Eubanks, eingehen kann.

Stinkstiefel könnten nun behaupten, kontrollierte Entropie wäre keine Entropie und sich fragen, warum Spahn diesen Aufwand treibt, um Klänge zu erzeugen, wo man doch mit klassischen Mitteln ähnliche Klänge erzeugen könnte. Genauso gut könnte man Dantes Inferno mit der Geisterbahn im Lego Discovery Center vergleichen: Das Wissen um die elektronische Romantik in Spahns Entropie berührt gemeinsam mit dem haptischen Erlebnis der Unmittelbarkeit ganz tief im Innnern. Es ist auf den ersten Blick erstaunlich, wie organisch die hörbar gemachten elektrischen und magnetischen Felder wirken. Erst beim zweiten Blick erinnert man sich daran, daß elektrische Ströme in der Biologie eine große Rolle spielen und dem Menschen inhärente Technologie sind. Auch mit Biologie hat Spahn Erfahrungen gesammelt. 2010 hat er in dem Projekt „Dias de los Muertos“ die Bewegung von Regenwürmern in eine Projektion umgesetzt, in anderen Projekten hat er mit Hirnströmen und menschlicher Atmung gearbeitet.

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