20.000 Kabel unter dem Meer
von Ulf Schleth
Am vergangenen Wochenende traf sich im Studio 1 des Kunstquartiers Bethanien eine internationale Runde von Autoren, Journalisten, Forschern, Netzaktivisten und Künstlern. Die Veranstaltung „Deep Cables“ versprach Aufklärung über „die geheime Struktur des Internets, wie es wirklich funktioniert und wie Land- und Seekabel unser politisches, kulturelles und Alltagsleben beeinflussen“.
Schon am 1. Juni wurde im Neuköllner Projektraum „Spektrum“ in Vorbereitung auf die Veranstaltung die Dokumentation „20.000 Kabel unter dem Meer“ gezeigt, eine Coproduktion zwischen NDR, arte und einigen anderen. In ihr wird gezeigt, wie Glasfasern hergestellt, aus ihnen Seekabel gemacht und von speziell ausgerüsteten Schiffen verlegt und repariert werden. Diese Seekabel können bis zu 160 Terabit Daten pro Sekunde transportieren. Eine unvorstellbare Datenmenge. Ob durch den Ärmelkanal oder quer durch den Atlantik.
Einige der geladenen Gäste machten sich auf die Suche: „Wo das Internet lebt“ nennt der Radiojournalist Moritz Metz seine Multimedia-Dokumentation in der er sich von der eigenen DSL-Anschlussdose ausgehend auf die Suche nach dem Internet macht. Der Netzwerkspezialist Marc Helmus verfolgt die Kabel sogar im Urlaub und Andrew Blum hat sich auf den Weg gemacht, nachdem sein Internetanschluß den Geist aufgab und das Buch „Kabelsalat: Wie ich einem kaputten Kabel folgte und das Innere des Internets entdeckte“ über seine Expedition geschrieben. Die Kabelreisenden kommen vorbei an Verteilerkästen, an „Mannlöchern“, in denen häufig Kabel miteinander verbunden werden, folgen Kabelkanälen, besichtigen Data-Center, riesige Rechenzentren, in denen die Internetriesen die Datenmassen ihrer Benutzer lagern und immer wieder stehen sie am Meer: Da, wo das Kabel in der Erde verschwindet, wo es tief eingegraben unter den Stränden ins Meer führt.
Der Titel „Deep Cables“ war klug gewählt. Er steht für die Tiefe des Meeres und die Tiefe der Informationen, die von den Kabeln transportiert werden, der Begriff „Cable“ steht nicht nur für Kabel, sondern wurde auch von Wikileaks für die von ihnen veröffentlichten Dokumente verwendet. Durch die Verfolgung der Kabel wird nicht nur das abstrakte Internet greifbar, sondern auch die Bedrohungen, denen Daten ausgesetzt sind. Für den Journalisten Henrik Moltke begann das Interesse an der physischen Infrastruktur des Netzes durch die Begegnung mit einem Whistleblower: Dem AT&T-Techniker Mark Klein, der den „Raum 641A“ entdeckte, der vom Geheimdienst National Security Agency (NSA) installiert worden war, um den Datenstrom von AT&T zu überwachen. Moltke fand durch die von Edward Snowden veröffentlichten Dokumente und eigene Recherche heraus, daß die NSA auch sonst eng mit AT&T zusammenarbeitet und direkt an transpazifischen Kabeln Daten sammelt, also dort, wo die Informationsdichte am größten ist. Für den Normalbenutzer ist kaum nachvollziehbar, ob seine Google-Mails, facebook-Posts oder andere Daten auf der anderen Seite des Atlantiks landen oder nicht. Allein durch das 7000 Kilometer lange Kabel TAT-14 fließen 20 Prozent des europäischen Internetverkehrs. Die Seekabel können bis zu 160 Terabit Daten pro Sekunde transportieren. Eine unvorstellbare Datenmenge.
Der amerikanische Künstler und Geograph Trevor Paglen präsentierte seine Arbeit, mit der er die Kabel aus der Tiefsee in das Bewusstsein der Öffentlichkeit holt. Sie besteht aus Photographien, zum Teil angereichert mit dokumentierendem Material, aber auch aus Mitwirkung an Projekten wie der Dokumentation „Deep Web Dive“. Die Künstlerin Ingrid Burrington, die unter anderem von der Süddeutschen Zeitung veröffentlichte Angaben über Kabel, die vom britischen Geheimdienst Government Communications Headquarters (GCHQ) abgehört werden, in eine interaktive Karte umsetzte, hält es für sinnvoll, die Funktionsweise der Netze schon in der Schule zu unterrichten. Wozu das nötig ist zeigte sich, als die Mitbegründerin der alternativen Nachrichtenplattform Indymedia, Anne Roth, die für die Partei Die Linke im NSA-Untersuchungsaussschuß sitzt, von ihrer Arbeit erzählte. Sie berichtete von Kooperationen des NSA mit dem deutschen Bundesnachrichtendienst (BND). Der BND darf laut Verfassung keine Daten der eigenen Staatsangehörigen preisgeben. Beim Abhören von Daten verschwimmen die Grenzen: Niemand kann genau sagen, welchen Ursprung die Daten haben. Es kommt unweigerlich zu Rechtsbrüchen. Dadurch, daß der NSA mit verschiedenen Geheimdiensten zusammenarbeitet, kommt er dann am Ende auch an die Daten, die die einzelnen Dienste vor Zugriff von außen schützen sollten. Durch Knebelverträge mit den Regierungen versucht die NSA, parlamentarische Untersuchungen auszuschließen.
International gesehen ist es relevant, wem die Kabel gehören und wer mit wem kooperiert. Internet-Startups werden sich Überwachungsbestrebungen eher entgegenstellen als uralte institutionalisierte Telekommunikationsriesen. Die Übertragungswege des Netzverkehrs bringen auch wirtschaftliche und politische Interesssen zum Ausdruck. Der italienische Aktivist Gabriele “Asbesto” Zaverio berichtete von maroden Landverbindungen in Sizilien, wo nur über Mobilfunk bessere Datenraten möglich sind, die palästinensisch-amerikanische Wissenschaftlerin Helga Tawil-Souri erläuterte ausführlich Restriktionen in Palästina. Netzverkehr ist dort nur in bestimmten Regionen möglich, internationaler Datenverkehr nur über israelische Leitungen, Verschlüsselung ist nicht erlaubt.
Der Veranstalterin, dem Disruption Network Lab und seiner künstlerischen Leiterin Tatiana Bazzichelli gelingt es, ein neues Veranstaltungsformat zu etablieren und die Hintergründe digitaler Lebensaspekte ausserhalb der Nerd-Ecke zu durchleuchten. Es wäre wünschenswert gewesen, noch weiter auf die geopolitischen Aspekte einzugehen, aber insgesamt ist es damit gelungen, ein internationales Forum nach Berlin zu bringen, das deutlich macht, wie wichtig der gesellschaftliche Diskurs und der verantwortungsvolle Umgang mit netzpolitischen Themen ist. Die Panels können online nachgehört werden.
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