Die Quelle des Lebens ist sauer

von Ulf Schleth

Eine ausgeblichene Koralle in einem Riff vor Islamorada, Florida. Foto: Kelsey Roberts, USGS.

Eine tote Koralle in einem Riff vor Islamorada, Florida. Foto: Kelsey Roberts, USGS (cc-by-2.0.).

Als Sarah Zauner vergangenen Sommer vor der Küste des ägyptischen Dahab zu den Korallenriffs hinabtauchte, sah sie zwar eine wunderbare, bunt schillernde Unterwasserwelt – doch auch viel mehr abgestorbene Korallen als sie für möglich gehalten hatte. Die 30-Jährige Biologin taucht bei dem internationalen Projekt „Reef Check” mit, um das fortschreitende Korallensterben im Auge zu behalten.

„Die Korallen leiden nicht nur unter Überfischung, man sieht immer mehr weiße Korallen – durch Klimaerwärmung und Versauerung bleichen sie aus und sterben ab”, sagt sie. Das Projekt soll die Entwicklung von Korallenriffen weltweit dokumentieren. Auch Sporttaucher können sich beteiligen und ehrenamtlich helfen, Daten zu erheben.

„Der globale Temparaturanstieg begünstigt das Algenwachstum, unter dem die Korallen leiden. Durch den Anstieg des CO2 in der Athmosphäre sinkt der pH-Wert des Wassers und die Ozeane versauern. Deshalb haben Muscheln und Hummer Schwierigkeiten, ihre Schalen zu bilden und die Korallen können ihr kalkhaltiges Skelett kaum aufbauen und wichtige Bakterien nicht mehr annehmen, was ihnen die Lebensgrundlage entzieht”, erklärt Zauner.

Die Korallen sind Lebensraum für viele Lebewesen; sie ermöglichen Artenvielfalt. So benötigt etwa der Papageienfisch die Korallen als Nahrungsquelle und Riffbarsche nutzen sie als Aufzuchtsstätte für ihren Nachwuchs.

In ausgeblichenen Riffen werden Korallenfische durch die fehlende Tarnung zudem leichter Opfer von Raubfischen. Das schadet zum einen dem Nahrungskreislauf, zum anderen aber auch dem Menschen, denn die riffreichen Regionen der Erde leben auch vom Tauchertourismus. Die Entwicklung ist an manchen Orten schon besorgniserregend vorangeschritten. Das Great Barrier Reef in Australien etwa hat durch die Veränderung des Ökosystems bereits 50 Prozent seiner Korallenbildung eingebüßt.

Aus den Augen, aus dem Sinn

Die Erdoberfläche ist zu zwei Dritteln mit Wasser bedeckt, von dem das Leben der Menschen in vielerlei Weise abhängt. Auf die fortschreitenden Temperaturveränderungen reagiert das Wasser träge, das heißt mit einer Verzögerungen von Jahrzehnten oder sogar Jahrhunderten. Die Folgen der Klimaerwärmung wirken im Meer also erst später, dafür aber auch länger.

Der Anstieg des Meeresspiegels durch das Schmelzen des Polareises ist ein immer wieder gern zitiertes Horrorszenario, die Auswirkungen unter Wasser dagegen sind nicht direkt sichtbar, werden deshalb leicht übersehen und von der Politik gerne ignoriert. Doch die Forschung bringt durch ihre Langzeitstudien mittlerweile auch jene in Bedrängnis, die diese Auswirkungen des Klimawandels verharmlosen oder sogar leugnen.

Hans-Otto Pörtner, der Ko-Vorsitzende der Arbeitsgruppe II des Weltklimarates (IPCC) hat im Oktober Zahlen vorgelegt, nach denen sich die Temperatur der Meeresoberfläche bis zum Jahr 2100 um 3,2 Grad Celsius erhöhen wird – vorausgesetzt, der CO2-Ausstoß bleibt wie er derzeit ist. Während Kleinstlebewesen durchaus von dieser Entwicklung profitieren können, wäre das der sichere Tod für eine Vielzahl von Wasserpflanzen und größeren Lebewesen, weil sie sich den veränderten Lebensbedingungen häufig nicht so gut anpassen können.

Der Zug ist abgefahren

Inzwischen geht es um Schadensbegrenzung, verhindert werden kann das Artensterben nicht mehr. Nach Ansicht von Pörtner ist es auch nur dann in einem vertretbaren Rahmen zu halten, wenn der CO2-Ausstoß so weit reduziert wird, dass die Temperatur sich um nicht mehr als 1,5 Grad erhöht. Das Abkommen von Paris soll Formulierungen enthalten, dass sich die Welt Mühe gibt, den Temperaturanstieg im Schnitt unter dieser Grenze zu halten. Pörtner findet das wichtig: „Es lohnt sich, um jedes zehntel Grad zu kämpfen”, sagt er.

Bei einer maximalen Temperaturerhöhung auf 1,5 Grad könnte der Anstieg des Meeresspiegels auf weniger als einem Meter begrenzt werden. Bliebe alles wie es ist, würde es wesentlich wärmer und auch der Meeresspiegel würde weiter ansteigen – um mehr als 2 Meter bis zum Jahr 2200 und fast 7 Meter im Jahr 2500. Das würde bedeuten, dass weltweit zahlreiche Städte und Landstriche überschwemmt werden, wodurch auch lebenswichtige Süß- und Trinkwasserbestände gefährdet wären.

Ein Viertel des seit 1850 um ein Drittel gestiegenen CO2-Bestandteils der Atmosphäre wird von den Meeren aufgenommen. Das heißt: Je mehr CO2 der Mensch erzeugt, desto höher ist die CO2-Sättigung der Meere. In Folge steigt durch chemische Reaktion die Versauerung und gleichzeitig sinkt die Anreicherung mit dem für das Ökosystem lebenswichtigen Sauerstoff, was durch die Erwärmung weiter verstärkt wird.

Zerstörerische Klimaphänomene

Hinzu kommen weitere Nebeneffekte, die mitnichten nebensächlich sind. Das Klima-Phänomen El Niño etwa bezeichnet ein Auftreten ungewöhnlicher, nicht zyklischer Strömungen im ozeanographisch-meteorologischen System. Das Phänomen tritt alle zwei bis sieben Jahre um die Weihnachtszeit im Gebiet vor den Küsten Perus, Ecuadors und Chile auf. Es entsteht durch ein Zusammenspiel von Wind- und Wassertemperatur. Durch das Abflauen der Passatwinde lässt die Kaltwasserströmung nach und das Wasser erwärmt sich so sehr, dass die Wasserschichten sich nicht mehr vermischen, was zum Absterben von Plankton und dem Zusammenbruch von Nahrungsketten führt.

Für den Menschen vor Ort ist das auch durch die ausbleibenden Fischschwärme spürbar. Bisher fiel der El Niño alle zwanzig Jahre besonders heftig aus, das letzte Mal zum Jahreswechsel 1997/98. Damals hinterließ das Phänomen und die folgenden Stürme, Überschwemmungen und Dürren Schäden in der Höhe von 35 Milliarden US-Dollar und forderte etwa 23.000 Menschenleben. Außerdem wurden viele Korallenriffe samt ihrer Bewohner zerstört. Wissenschaftler gehen heute davon aus, dass dieser Effekt durch die Klimaerwärmung noch häufiger und stärker auftreten wird. Noch in diesem Winter erwarten Meteorologen einen starken El Niño.

Mittlerweile gibt es Forschungsprojekte, die zum Ziel haben, die langfristigen Auswirkungen der Ozeanversauerung zu untersuchen. Etwa das „Bioacid”-Projekt unter der Leitung von Ulf Riebesell. In sogenannten Mesokosmen, 20 Meter langen Kunststoffsäcken, die im Meer verankert werden, werden die Auswirkungen zukünftiger Versauerung auf maritime Lebensräume simuliert.

Die Ergebnisse zeigen unter anderem, dass Pteropoden – das sind kleine, zerbrechliche Flügelschnecken – bei niedrigen pH-Werten nicht mehr lebensfähig sind. Das wird bei vielen nur ein Schulterzucken hervorrufen, die Folgen für die Nahrungskette sind aber beträchtlich. Denn die Schnecken bilden einen wichtigen Teil der Lebensgrundlage für viele Fische und auch für Wale sind sie ein Hauptnahrungsmittel.

Dieser Artikel erschien am 11.12.2015 auf taz.de.

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