Porntubes: Porno, Sexarbeit & Internet

von Ulf Schleth

vlnr: Nishant Shah, Roy Klabin, Francesco Warbear Macarone Palmieri, Liad Hussein Kantorowicz, PG Macioti

vlnr: Nishant Shah, Roy Klabin, Francesco Warbear Macarone Palmieri, Liad Hussein Kantorowicz, PG Macioti

Am 31. Oktober veranstaltete das Disruption Network Lab („An ongoing platform of events and research on art, hacktivism and disruption in Berlin“) im Kunstquartier Bethanien einen Abend zum Thema „PORNTUBES: Sharing the Explicit“. Die geladenen Gäste diskutierten die Bedeutung des Internets für die Porno-Industrie und SexarbeiterInnen. Besondere Berücksichtigung fanden dabei die hochfrequentierten „Porntubes“; Porno-Plattformen wie Youporn, Redtube, X-Hamster und Redtube, die kostenfrei Pornoclips zur Verfügung stellen. Die Auswahl der Gäste war hervorragend und die Qualität der Beiträge, insbesondere die der Diskussionsrunde, höher und umfassender als alles, was ich bisher bei anderen Panels zu diesen Themen erlebt habe. Deshalb hier in knapper und kurzer Form eine kurze Beschreibung der einzelnen Programmpunkte, garniert mit Komplettmittschnitten der Gespräche in englischer Sprache und toller Qualität (Danke!, DNL) zum Nachhören.

Carmen Rivera (BDSM-Porno-Produzentin, -Regisseurin, -Darstellerin uvm.) im Gespräch mit Gaia Novati (Netzaktivistin und Indie-Porno-Forscherin, IT/DE)

Carmen Riveira ist schon lange im Geschäft. Sie unterhält ihr Unternehmen mehr oder weniger im Ein-Frau-Betrieb. Sie finanziert ihre Arbeit zu Teil über Kunden, die ihre eigenen Phantasien in Filme umgesetzt sehen möchten, über den Verkauf von DVDs und Online-Clips. Die Porno-Industrie ist abhängig von den Porntubes, die zum einen die Einkünfte der Pornoindustrie schmälern, zum anderen aber benutzt werden müssen, um die Arbeit der Produzenten und Akteure bekannter zu machen. Gleichzeitig erhöhen sie auch das Produktionstempo, denn in den Porntubes ist alles was älter als eine Woche schon wieder Brot von gestern. Insgesamt wird dadurch die Produktionsquantität erhöht, die Qualität aber leidet. BDSM vertritt dabei sicher eine Sonderrolle, denn dort unterscheiden sich die Bedingungen durch den Nischencharacter und durch Grundsätze des BDSM wie „Safe, Sane, Consensual“ positiv vom Mainstream-Porno. Rivera spricht über widersprüchliche und veraltete bzw. bigotte internationale Gesetzgebung, über Netzwerke, über den Mythos Pornostar, den Tod der BDSM-Szene, den Umgang mit Raubkopien im Internet, die heute kaum noch zu verhindern sind, davon daß sie Frauen mehr Selbstbewußtsein geben möchte (Anm.: Es wäre schön, wenn in solchen Zusammenhängen ab und an davon gesprochen würde, daß auch Männer mehr Selbstbewußtsein bräuchten, um in die Lage versetzt zu werden, ihr angelerntes Rollenverhalten zu verlassen) und davon, daß BDSM in den Medien gewohnheitsmäßig falsch dargestellt wird, was auch am Publikum liegt: Es liebt Freak-Shows.

Mitschnitt des Gespräches mit Carmen Rivera:

Hier klicken für den Video-Mitschnitt.

PiggyBankGirls: Erotic Crowdfunding for Girls

Sascha Schoonen, CEO der Plattform, konnte nicht selbst zur Veranstaltung erscheinen, war vielleicht ja auch einfach zu teuer. Sie präsentierte per Video-Clip die Crowdfunding-Website piggybankgirls.com – Hier können Mädchen und Frauen ihre finanziellen Probleme überwinden, indem sie erotisches Crowdfunding betreiben: Sie erstellen einen Clip, in dem sie erklären, wofür sie das Geld brauchen, egal ob es sich dabei um ein Tierschutz-Projekt oder ein neues Auto handelt und schnüren verschiedene Dankespakete („Perks“) erotischer Natur (getragene Schlüpfer, Videos mit erotischem Inhalt, …), die die Spender für ihre Spende bekommen. Die Idee dahinter ist, die Akteurinnen, die durchaus auch professionell im Business arbeiten können, unabhängiger zu machen und sie in höherem Maße an den Einnahmen zu beteiligen als das in der Branche üblich ist. Letzten Endes war die Präsentation natürlich Werbung. Ob das am Ende alles so gut funktionieren wird und ob nicht durch die Verheißungen schnellverdienten Geldes und dadurch, daß es so genauso leicht wird, selbstgedrehte Sexvideos zu verkaufen wie selbstgestrickte Socken auf e-bay und dadurch, daß die Hemmschwelle etwas zu stark sinkt auch Mädchen zu Erotikproduktionen gebracht werden, die sie hinterher bereuen werden und warum an die Jungs hier weniger gedacht wurde sind Dinge, die noch zu klären wären.

XXXPLICIT. Von Porn Tubes zum Online Sex Working

Gäste: Roy Klabin (Dokumentarfilmer und Investigativreporter, USA), Dr. Nishant Shah (Forscht in digitaler Politik & sexueller Identität, IN), Liad Hussein Kantorowicz (Darstellerin und Sexarbeit-Aktivistin, Peers bei Hydra, IL/DE), PG Macioti (Beraterin bei Hydra e.V., board member ICRSE, x:talkproject, IT/DE). Moderiertt von Francesco Warbear Macarone Palmieri (Sozio-Anthropologe, Sexualgeograph :), Kulturproduzent, IT/DE).

Die Kurzreferate der Gäste und die Podiumsdiskussion schlugen einen großen Bogen. Wie auch bei dem Gespräch mit Carmen Rivera empfiehlt es sich, dem Mitschnitt zu lauschen. Betrachtet wurde das Konsumentenverhalten (und zu den Konsumenten gehören fast alle, auch die Theoretiker) im sozialen und kulturellen Kontext (Nishant Shah); auch in Schwellenländern, Zusammenhänge mit verschiedenen gesellschaftlichen Tabus, Liebe und Romantik. Interessante Netzphänomene wie isitporn.com und pornfortheblind.com. Die neue Pornographie wären Dinge wie Scham-Pornographie; hier wurde der Tod von Amanda Todd genannt, die ein Youtube-Video veröffentlichte, bevor sie sich wegen Mobbings das Leben nahm; die Verbreitung von Pornographie die so weit geht, daß auch Minister beim Pornogucken während Parlamentssitzungen erwischt werden, … Roy Klabin sprach über die Porntubes. Der Internet-Nutzer verbringt im Durchschnitt 38,5% seiner Netz-Zeit mit Pornos. 95% aller Porntubes und ein Großteil der Pornobranche sind fest in der Hand der Firma Mindgeek. Sie hat es geschafft, die ganze Branche zu kontrollieren. Sie gräbt durch ihre kostenfreien Pornoclips auf den Tubes den Produzenten die Klienten ab, kauft dann Bestände pleite gegangender Produktionsfirmen auf und verleibt sie ihrem enormen Fundus ein. Die Tubes sind so verbreitet, daß zum einen Produktionsfirmen die bekannt bleiben wollen, dort präsent sein müssen, zum anderen profitiert Mindgeek gleichzeitig von Raubkopien, die ihre Nutzer hochladen. Ein riesiges parasitäres Unternehmen, gegen dessen Geschäftsgebaren kaum ein Gericht vorgeht. Wege aus diesem Dilemma wären z.B. Zusamenschlüsse der Produzenten, vor allem aber bei Weiterenwicklungen des Online-Porno eine Vorreiter-Rolle zu übernehmen und dabei schrittweise und überlegt vorzugehen. Kantorowicz und Macioti gehen im Schwerpunkt auf Auswirkungen für Darstellerinnen und Sexarbeiterinnen ein. Auch deren Arbeitsleben wird vom Internet grundlegend verändert. Auf der einen Seite ist Geld verdienen online sicherer, auf der anderen ist die Gefahr von Stigmatisierung größer und das Abrutschen von Sexcam-Frauen in die Prostitution wird dadurch gefördert, daß die entsprechenden Portale zunehemend die Option anbieten, die Frauen zu treffen. Viele Arbeiterinnen werden mangels Medienkompetenz von Mittelsmännern finanziell ausgebeutet, so daß z.T. nur 25% des Umsatzes übrig bleiben (Anm.: Hey, Open-Source-Community, wollt ihr da nicht mal aushelfen?).

RECLAIM THE PORN!

Mitschnitt des Panels:

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