„Kinky sein ist meine Religion“

von Ulf Schleth

Rain DeGrey Foto: Rain DeGrey

Rain DeGrey Foto: Rain DeGrey

This extensively shortened version of the Interview has been published in the taz.die tageszeitung. The article is available in German only. You’ll find the original, edited, but raw interview as audio in english below this article.


taz: Frau DeGrey, Sie sagen von sich selbst, Sie seien kinky, also jemand, der unkonventionelle Neigungen hat. Seit wann wissen Sie das?

Rain DeGrey: Ich war schon im Alter von acht Jahren kinky. Damals fand mich meine Mutter, als ich mir einen Kissenbezug über den Kopf stülpte. Ich sagte: „Ich ziehe ihn mir über den Kopf und stelle mir vor, dass mich der böse Mann entführt.“ Du wirst kinky geboren, genau, wie du homosexuell geboren wirst. Ich hatte lange große Angst davor, von der Gesellschaft verurteilt zu werden, ich habe meine Neigung verleugnet. Eines Tages war ich es leid, nicht wirklich ich selbst zu sein.

Und dann?

Ich ging ins Internet und fand bei Myspace ein paar Bondage-Profile. Daraufhin schrieb ich einem dieser Typen eine Nachricht. Ich mochte die Art, wie er fesselt. Es stellte sich heraus, dass er Lew Rubens heißt und für kink.com arbeitete. Kurz danach hatte ich mein erstes Shooting. Das war eher ein Unfall. Ich wollte nie Model sein. Ich war aber kinky. Das war mein Lebensstil. Und plötzlich hatte ich den besten Job der Welt.

Sie haben viele verschiedene Jobs.

Derzeit arbeite ich in etwa so 50 Stunden pro Woche unter anderem als Talentdisponentin, Chauffeurin, Garderobiere, Fotografin, Regisseurin und persönliche Assistentin für Intersec Interactive. Wir haben jetzt sechs Websites und drehen fünf bis sechs Tage pro Woche.

Was sind die negativen Seiten Ihrer Arbeit?

Ich nehme das nicht als Arbeit wahr. Es ist immer Spaß. Stellen Sie sich das vor: Sie wollen eine Gangbang-Fantasie ausleben. Wie wollen Sie fünf Männer anrufen, die alle am gleichen Abend Zeit haben, keine Geschlechtskrankheiten haben, gut in Form sind und deren Schwänze im richtigen Moment funktionieren? Das ist quasi unmöglich. In meinem Job geht das.

Sie haben am Set nie mit einem unangenehmen Mann gearbeitet?

Ich habe sechs Jahre gemodelt und war an Hunderten Drehs beteiligt. Davon waren gerade mal 12 oder 13 Männer beteiligt, und bei den meisten davon war mein Freund auch mein Partner am Set. Ich mache also nicht wirklich Porno. Ich mag es nicht, dass Leute denken: „Das ist bloß ein Porno-Girl“, nur weil sie mich in der Nähe eines Penis gesehen haben.

Warum stört Sie das?

Die Freunde von mir, die nach Los Angeles gegangen sind und angefangen haben, Pornos zu drehen, sterben innerlich. Ich bin Fetischmodel. Es ist etwas Reines und Ehrliches am Fetischismus. Wenn du dich aufs Ficken beschränkst, verliert es etwas von der Reinheit.

Sehen das Ihre Nicht-kinky-Freunde auch so?

Ich habe keine. Kinky sein ist meine Berufung, meine Religion. Kink ist wie eine Blase. Alles, was ich machen möchte, befindet sich in dieser Blase. Ich hänge mit Leuten darin ab und arbeite mit ihnen. Ich will diese Blase nicht verlassen. Denn sobald ich das tue, verurteilen mich die Leute. Sie sind unhöflich, gemein und sehen auf mich herab. Und das hasse ich. Die Leute sind Arschlöcher.

Mit diesen Leuten streiten Sie sich dann auch oft auf Twitter.

Ja, das mache ich vor allem mit Männern, die mir Schwanzbilder schicken. Die denken, dass eine Frau nur einen Schwanz sehen muss, um den Verstand zu verlieren. Ein Schwanz ist nichts Magisches. Man kann mit einem Schwanz keine Frauen hypnotisieren. Ich antworte diesen Männern, denn wenn ich auch nur einen ein bisschen weniger dumm machen kann, gibt mir das Hoffnung für die Welt. Denn wenn nur ein Mann sich darüber klar werden kann, wie unangemessen und grob das ist, macht er das vielleicht mit der nächsten Frau nicht mehr.

Das ist ein sehr pädagogischer Ansatz.

Ich bin eine Erzieherin. Es ist nicht Bestandteil meines Jobs, Idioten zu tolerieren. Ab und zu schreiben mir auch Leute, die meine Seele retten wollen. Die denken, dass ich mich quälen lasse, weil ich das Geld brauche und missbraucht werde. Nein, ich toleriere niemanden, der meine Grenzen überschreitet. Es gibt Männer, die meine Shootings kaufen, weil sie sehen wollen, wie Frauen verletzt werden. Das ist aber nicht meine Arbeit.

Rain DeGreyIm Interview: Rain DeGrey

Zur Person: Rain DeGrey lebt in San Francisco und arbeitet seit gut sieben Jahren in der Sexbranche. Sie bloggt auf „Dirty Words“.

Zur Arbeit: Für kink.com, den größten und bekanntesten Anbieter für BDSM-Pornografie, hat sie auch Workshops geleitet. Seit acht Monaten modelt sie kaum noch und arbeitet nun bei der traditionsreichen Firma Intersec Interactive als Talentdisponentin.

Sie leiten auch einige Sexworkshops.

Ich habe eine Klasse für anale Spiele unterrichtet, eine Bondage-Klasse, eine Klasse für weibliche Dominanz, eine Oralsex-Klasse für Männer und Frauen, eine Klasse im Umgang mit Umschnalldildos. Aber ich glaube, meine größte Leistung ist in diesem Zusammenhang, dass ich mein Leben auf eine solche Weise lebe, ohne Angst und Scham. Ich hoffe sehr, dass ich Leute, denen es ähnlich geht wie mir in meiner Vergangenheit, die kinky sind, das aber verstecken und fürchten, dazu inspiriere, dasselbe zu tun. Es gibt generell ein großes Bedürfnis nach sexueller Ausbildung. Dieser Körper, den du hast, ist das beste Spielzeug, das du je haben wirst. Er ist ein Musikinstrument. Die Leute haben Angst, mit ihrem Körper zu spielen. Wenn du aber richtig mit ihm spielst, lässt er dich Gott sehen. Die Leute wissen nichts über ihren Körper. Es überrascht mich, wie wenig selbst Models über ihren Körper wissen. Es gibt leider auch kein Lehrbuch für Models. Ich sollte es schreiben.

Für viele radikale Feministinnen alter Schule schürt insbesondere der BDSM-Porno den Frauenhass der Konsumenten.

Feministinnen sind fucking Bullshit. Es ist wahnsinnig anmaßend, wenn du mir als Frau sagst, was ich mit meinem Körper tun darf und was nicht. Ich glaube nicht, dass ein normaler Mann, der Frauen nicht wehtun will, losgeht und Frauen schlägt, nur weil er einen Film gesehen hat, in dem jemand, der es mag, harten Sex hat und dabei geschlagen wird.

Wird der Porno denn tendenziell gewalttätiger?

Nein, er wird nur verfügbarer. In England gab es schon 1890 diese kleinen Bücher unterm Ladentisch, in denen Menschen beim Sex geschlagen wurden. Peitschen, Spanking, Züchtigung – sexuelle Neigung gab es schon damals. Es gab eben nur kein Internet. Die Menschen versuchen, zivilisierter zu werden. Wir versuchen so angestrengt, uns mit Politur einzuschmieren, um zu verbergen, dass wir Tiere sind. Porno macht uns nicht weniger zivilisiert. Er zeigt uns einen Blickwinkel darauf, wer wir sind, als Tiere.

Wenn wir alle nur Tiere sind, warum werden dann in Pornofilmen vor allem dominierte Frauen gezeigt und eben nicht auch dominierte Männer?

Es gibt eine gewisse Tendenz, dass Pornokonsumenten nun mal Männer sind. Allerdings haben Männer auch Angst vor Frauen. Frauen sind eine Bedrohung. Sie sitzen auf etwas sehr Wertvollem, wovon die Männer nicht loskommen. Könnten sie doch nur einen Weg finden, sich nur mit der Pussy zu beschäftigen, ohne die Frau drumherum. Alle lieben es, Frauen anzusehen, aber einen Mann … haarig und mit heraushängendem Schwanz … Wer will für so etwas bezahlen?

Es geht also um Ästhetik und nicht um Macht? Da würden Ihnen einige Feministinnen in Deutschland widersprechen, die neben dem Verbot der Pornografie auch das Verbot von Prostitution fordern.

Zweifellos gibt es sie, die arme Frau aus Russland, die ein Jobangebot annimmt und sich dann in einem anderen Land wiederfindet, wo sie dazu gezwungen wird, mit zehn verschiedenen Typen am Tag Sex zu haben. Aber das ist keine normale Sexarbeit. Viele Frauen entscheiden sich für Sexarbeit. Ich habe mir das ausgesucht. Ich liebe es. Natürlich bin ich keine Prostituierte. Aber Prostitution ist das älteste Gewerbe der Welt. Du kannst die menschliche Natur nicht verleugnen. Die Engländer sperren gerade pornografische Internetseiten, die Gesamtsituation scheint konservativer zu werden. Aber das wird nicht von Dauer sein. Sexarbeit ist aber ein Bedürfnis und wird bleiben.

Sie sind polyamor. Kann man eine tiefe Beziehung zu mehreren Menschen haben?

Polyamorösität steht für verbindliche, tiefe Beziehungen. Das Problem ist, dass uns im Kindesalter erzählt wurde, dass es genau einen Menschen da draußen gibt, mit dem wir emotional, mental, sexuell und spirituell kompatibel sind. Und dann gehst du raus und triffst diese eine Person. Sie erfüllt aber nur 80 Prozent deiner Bedürfnisse. Irgendwann habe ich gemerkt, dass niemand perfekt ist und angefangen, diese Tatsache zu respektieren. Aber wenn du sie alle zusammen nimmst – 40 Prozent hier, 10 dort und 50 da, kommst du auf 100 Prozent. Und du kannst jeden so lassen wie er ist, ohne ihn verändern zu wollen. Wenn du mehrere zusammensetzt, hast du Perfektion. Ich liebe und verehre meinen Ehemann, aber ich bin poly. Ich werde immer einen Freund haben. Ich will beides. Vielleicht bin ich gierig.


This is the edited (thanks to Seda Niğbolu) audio-version of the interview in english language and full length:

Dieser Text gefällt Dir?