La Santa Muerte
John Giblers Buch über Frau Tod, die Heilige aus Mexiko
Von Ulf Schleth
So lange die Gewalt abstrakt bleibt, dient sie der Unterhaltung. Das Leiden, das damit verbunden ist, ist im täglichen Nachrichtengemetzel kaum wahrnehmbar. Die Bilder von Opfern des Drogenkrieges in Mexiko bleiben schauriges Infotainment, das Geschichten erzählt von weit entfernten Dingen. Dingen, mit denen man nichts zu tun hat und nichts zu tun bekommen will, von der kleinen Gänsehaut einmal abgesehen.
Das ändert sich schlagartig, wenn ein Freund aus dem Urlaub zurückkehrt und erzählt, wie seine Bekannten, die einen Bootsverleih in Mexiko betreiben, schon mehrfach bedroht wurden. Ihnen und ihren Kindern könne etwas zustoßen, wenn sie nicht für ihren Schutz zahlen würden. Daß ihm einige Male von bewaffneten Dealern in den Bars der Stadt offen Drogen angeboten wurden. Und daß ihm die Geschichte von einem jungen Absolventen der Polizeischule erzählt wurde, der vor seiner Haustür erschossen wurde, weil er sich nicht bestechen ließ. In einem Land, das über eines der schärfsten Waffengesetze des Kontinents verfügt. Aber was nützen Gesetze, wenn sich niemand daran hält.
Beschäftigt man sich eingehender mit der Situation Mexikos, nimmt die Fassungslosigkeit noch zu. Mexiko ist ein Land, in dem die Herstellung, Vermarktung und der Transport von Drogen und allen damit verbundenen Tätigkeiten zu einem integralen Wirtschaftsfaktor geworden ist. In dem es schwierig geworden ist, Erwerbsmöglichkeiten zu finden, die nicht auf die eine oder andere Weise mit dem Drogengeschäft zusammenhängen. In dem die Kartelle ihre Konkurrenz, unfolgsames Fußvolk, Menschenrechtler und sogar Journalisten mit äußerster Brutalität einschüchtern. In dem Regierung, Militär und Polizei korrupte Bestandteile des Systems der Angst sind.
Verhaftungen von Mitgliedern der Kartelle haben lediglich Alibifunktion. Zu welchem Drogenkartell die Verhafteten gehören, hängt im Wesentlichen davon ab, welchem Kartell die Regierenden am ehesten zugetan sind (unter Calderón machten Mitglieder des Sinaloa-Kartells nur 12 Prozent der Verhafteten aus, obwohl es für 84 Prozent der Morde in diesem Zusammenhang verantwortlich war). Es kommt nicht selten vor, daß frisch Verhaftete nach kurzer Zeit wieder frei kommen, weil Beweise verschwinden oder ignoriert werden.
Die Mexikaner haben im Allgemeinen ein recht natürliches Verhältnis zum Tod. Und sie haben »La Santa Muerte«, die Heilige Frau Tod. Das ändert nichts daran, daß viele im Klima der allgegenwärtigen Bedrohung fast ersticken. Krankenwagen nehmen keine Opfer mit Schußwunden mehr mit, weil die Sanitäter zu große Angst vor Verfolgung haben.
Mexikos Popkultur wird musikalisch von Narcocorridos bestimmt, die die „Heldentaten“ der Drogenbosse besingen. Die USA, die Mexiko mit Hilfe in Milliardenhöhe in einem Drogenkrieg unterstützen, den man allenfalls als Farce bezeichnen kann, wissen das alles. Und verdienen kräftig mit. Auch nach der Wahl von Peña Nieto zum Präsidenten Mexikos wird sich nicht viel ändern.
Es gibt Mutige in Mexiko, die unter Einsatz ihrer Gesundheit gegen Wahlbetrug, für Demokratie und Menschenrechte auf die Straße gehen, allen voran die Protestbewegung „Yo Soy 132“. In der westlichen Medienlandschaft ist wenig davon zu hören. Vielleicht hängt das damit zusammen, daß es die erste Welt ist, deren Geld die Schatzkammern der Drogenbarone füllt. Die sich den Stoff reinpfeift, der aus oder durch Mexiko hindurch kommt. Auch die deutsche Wirtschaft verdient gut mit. Im März 2012 wurde bekannt, daß Heckler & Koch tausende G36-Gewehre nach Mexiko geliefert hat. Daß in Mexiko Verhaftungen durch die Polizei dokumentiert wurden, bei denen die Verhafteten kurz später hingerichtet und in Teppiche gewickelt aufgefunden wurden, sollte auch den Verantwortlichen bei Heckler & Koch nicht entgangen sein.
„Sterben in Mexiko“ von John Gibler verspricht im Untertitel „Berichte aus dem Inneren des Drogenkrieges“. Das ist etwas hoch gegriffen – Gibler ist kein Narco-Wallraff, er kann nicht allzu tief in den Alltag der Drogenkartelle eindringen. Aber was er kann, ist viel wichtiger. Er läßt uns einen Blick hinter die wirtschaftlichen, politischen und sozialen Zusammenhänge werfen, erklärt, warum der Drogenkrieg seine Wurzeln im Rassismus hat, und macht klar, daß wir weniger ein Problem mit Mexiko haben, als Mexiko mit uns. Gibler hat ausführlich recherchiert und gibt allen, die sich tiefer in das Thema einlesen wollen, gut geschriebenes Material in die Hand. Leider ist die Übersetzung mit einer sehr, sehr heißen Nadel gestrickt worden. Aber wenigstens hat man so bei der Lektüre auch was zu lachen.
John Gibler: „Sterben in Mexiko. Bericht aus dem Inneren des Drogenkriegs.“
Edition Tiamat
Berlin 2012
192 S.
16,- Euro
Dieser Artikel erschien am 11.12.2012 in der jungen Welt.
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