Eine Distanzierung zum Distanzieren
von Ulf Schleth
Hengameh Yaghoobifarah hat in der taz-Kolumne „Habibitus“ als Berufsalternative für Polizist*innen den ehrenwerten Berufsstand des Müllmenschen vorgeschlagen und schrieb: „Nicht als Müllmenschen mit Schlüsseln zu Häusern, sondern auf der Halde, wo sie wirklich nur von Abfall umgeben sind. Unter ihresgleichen fühlen sie sich bestimmt auch selber am wohlsten.“ Auf den Shitstorm der dann entstand, veröffentlichte die taz-Chefredaktion eine bemerkenswert weichgespülte Stellungnahme, in der sie sich von dem Text ihrer Kolumnistin distanziert. Es ist zum Fremdschämen. Da bleibt nur eine eigene Stellungnahme.
Diese Kolumne ist kein „Hass-Text“, sie ist eine treffende emotionale und polemische Satire. Satire sollte so gut wie alles dürfen. Die, die sich lauthals über den Text beschweren, sollen sich bei den Mördern von George Floyd, den Wärtern von Oury Jalloh, bei den Polizist*innen, die Stalkingopfern raten, nach Hause zu gehen und sich wieder zu melden, wenn ihnen etwas angetan wurde, bei den verschleiernden Staatsschergen im NSU-Fall, bei solchen, die Opfer wie Täter behandeln und vielen anderen beschweren, die ihre Macht mißbrauchen. Nicht bei der taz. Und schon gar nicht bei Hengameh Yaghoobifarah.
Es gibt strukturellen Rassismus in der Polizei. Ein solcher Job lockt leider nicht nur autoritätskritische Vollblutdemokraten. In zahlreichen Fällen BEHANDELN Polizist*innen ihre Mitbürger wie Abfall. Fragen Sie Frauen, Menschen mit Hautfarben, schwule Menschen, Menschen die auffällig gekleidet sind, Menschen, die sich als Gutmenschen zu erkennen geben (noch vor 30 Jahren haben lange Haare schon gereicht), auf einer Demo Opfer von Polizeigewalt wurden, etc., ob sie verbale oder körperliche Übergriffe seitens der Staatsmacht erlebt haben und die Luft wird sehr dünn für die, die da jetzt ihre Empörung herausschreien.
Ganz vorn dabei: Hans-Georg Maaßen, selbst verantwortlich für massiven Vertrauensverlust in deutsche Sicherheitsbehörden. Eigenartig. Sonst immer schnell mit Menschenverachtung zur Stelle, aber auf einmal so dünnhäutig? Über den Polizeigewerkschafter Rainer Wendt muß man nicht reden, schon lange hält ihn aufgrund seiner rechtspopulistischen Agitation kaum noch jemand für qualifiziert, sich als Vertreter eines Berufsstandes zu gerieren, der weitgehende politische Objektivität voraussetzen sollte.
Yaghoobifarah hat wohl kaum alle Polizist*innen gemeint und sicher nicht die, die anderen Menschen über die Straße helfen, liebe #notallcops. Aber warum eigentlich nicht? Die „guten“ Polizist*innen, die schützen und ermitteln, statt Macht zu mißbrauchen, dulden die nicht stillschweigend das Verhalten ihrer Kolleg*innen? Sie könnten ihre Wut jetzt gut nutzen und mit dieser Duldung aufhören. Das Wort „Abfall“ in einem Atemzug mit einer Berufsgruppe kann schreckhafte Menschen zweifeln lassen. Es geht hier aber nicht um eine unterdrückte Minderheit, der das Lebensrecht abgesprochen werden soll, sondern um ein Instrument der Mehrheit, das nicht tut, wozu es da ist.
Im Text steht nicht, daß Menschen und sei es in ihrer Funktion als Polizist*innen Abfall seien. Mit „ihresgleichen“ könnten andere Müllarbeiter*innen oder andere auf Deponien lebende Lebewesen wie die Olchis gemeint sein. Egal, was gemeint ist, egal, ob man eine solche Wortwahl verwenden muß: Man kann genau so etwas in einer solchen Kolumne schreiben. Mir hat es gefallen. Es wird allen gefallen, die schonmal von Polizist*innen wie Abfall behandelt wurden.
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