¡Reclaim the Luftraum! – Wie man auch auch ohne eigene Armee und DJI FPV – Drohne ins Drohnenfliegen einsteigen kann.
von Ulf Schleth
Ich wollte nie ein deutscher Drohnenmann sein. Modellbau war mir suspekt – die Typen mit den kleinen Eisenbahnen, ihren heulenden Rennautos/-booten, mit den Flugzeugen und den Fernbedienungen vor ihren Bäuchen waren der Inbegriff der Spießig- und Piefigkeit. Wieso wirst Du nicht wirklich Lokführer oder Pilot, hätte ich gern gefragt. Ist Dir die echte Welt zu gross? Hast Du Angst, nicht in ihr bestehen zu können? Und Frauen gab es da auch keine zu entdecken. Das ist immer ein schlechtes Zeichen: wenn nur Männer eine Sache betreiben, kann man sich vor Mansplaining, Besserwisserei und Konkurrenzverhalten in der Regel kaum retten. Besonders schlimm waren diese Drohnenmänner, die ihren Kindern Drohnen schenken, nur um selbst damit zu spielen und im Sommer auf der Badewiese die Kameras ihrer Voyeursdrohen über den nackten Brüsten der Sonnenanbeterinnen kreisen lassen.
Dann, vor nicht ganz einem Jahr vor diesem Text habe ich zufällig dieses Video gesehen:
Es offenbarte sich eine Welt, die im großen und ganzen gar nicht viel gemein hatte mit meinen üblen Vorurteilen. Nicht nur, daß das freestyle FPV (First-Person-View)-Fliegen eine Erweiterung des menschlichen Körpers darstellt und den Piloten mit dem fliegenden Auge zum Cyborg der Lüfte macht und dem echten Leben einen Spectator-Mode verleiht, es gab dazu auch noch eine internationale Community, in der sich alle möglichen Leute versammelten: Coole, uncoole, junge, alte, männliche, weibliche, nicht-binär einzuordnende, dicke, dünne, mit verschiedensten Hautfarben, arme, reiche, Modellbauer*innen, Maker*innen, Spießer und Spontis. Und auch den Modellbauern hatte ich immer unrecht getan: Der Großteil zeichnet sich vor allem durch Offenheit, Neugier und die Bereitschaft aus, ihr Wissen weiterzugeben. Ihre Szene ist zwar immer noch männerdominiert, doch auch das ändert sich.
Die Gallionsfiguren der FPV-Szene haben eines mit den meisten weniger mitteilsamen FPV-Pilot*innen gemeinsam: Sie geben ihr Wissen gern weiter. Die meisten (leider) auf Youtube. Hier ein paar der wichtigsten Namen für den Einstieg: Oscar Liang, Joshua Bardwell, Mr. Steele, Paweł Spychalski, Zoe FPV, UAVfutures, Matt Pochwat, RCModelReviews, MaiOnHigh, CRICKET FPV, ummagawd, BOTGRINDER FPV. Ein paar haben sich professionaliert – bei ihnen macht es Sinn, ihre Videos vom ältesten zuerst anzusehen. Wieso sie statt unabhängigen Lösungen wie PeerTube alle Youtube benutzen, die Plattform der trackenden Datenkrake Google, kann man leicht raten: weil sie sich versprechen, dadurch mehr Reichweite zu bekommen und ein paar Euro vom Werbekuchen. Und weil alle da sind. Das gleiche Henne-Ei-Problem wie auch bei den anderen sozialen Plattformen. Gepriesen sei Oscar Liangs wunderbarer Blog. Meine ersten Erkenntnisse waren:
- Abstürze gehören zum Fliegen („fly hard, crash harder“) – Landen geht natürlich auch.
- Wer FPV fliegen will, baut und repariert seine Drohne(n) selbst.
- Es gibt verschiedene Arten, FPV zu fliegen, grob sind das: FPV-Racing, FPV-Freestyle und FPV-Longrange/Cruising.
- Für Voyeurismus hat niemand Zeit, Flugplanung, Training und all die anderen Dinge, die damit zusammenhängen, kosten viel zu viel Zeit.
- FPV ist sehr offen für Open Source. Die Community programmiert sich die Software für ihre Fernbedienungen und Flighcontroller (FC) selbst.
Das erste was ich gemacht habe war es, in den Keller zu laufen und die alte Spielzeugdrohne hochzuholen, die mir 2015 meine damalige Freundin geschenkt hat. Mir hatte noch nie eine jemand ein so tolles und teures Geschenk gemacht, ich hatte sie aber seitdem nur zu Kindergeburtstagen herausgeholt (Vorurteile s. oben). Die UDI U818A ist eine ganz einfache Spielzeugdrohne, ohne Kamera, mit einer billigen Plastikfernbedienung, gebürsteten Motoren1, wenigen Metern Reichweite und einem riesigen Plastikrahmen der dafür sorgt, daß sie bei dem leichtesten Windstoß nicht mehr zu manövrieren ist. Es folgten die ersten Schritte:
- Mit Akkus herumexperimentieren war wichtig um herauszufinden, wie man die Flugzeit verlängern kann, ohne daß die Dohne zu schwer wird.
- Die Reichweite war unter aller Würde, ich habe sie etwas erweitert, indem ich die Fake-Antenne durch eine richtige 2,4 GHz-Antenne aus einem alten WLAN-Router ersetzt habe.
- Ich mußte ständig die Wiese absuchen, weil die Drohne im hohen Gras nicht mehr zu finden war. Also habe ich mir einen Drohnenfinder gebaut.
- Der Rahmen ist mir auf den Keks gegangen. Ich habe ihn abgebaut und durch den Boden einer alten Sprudelflasche ersetzt.
- Eine richtige Fernbedienung mußte her. Die guten waren alle sehr teuer, ich war sehr froh, daß ich dann noch mitbekommen habe, daß gerade die Radiomaster TX16S mit „Hall Gimbals“; Steuerknüppeln die weniger schnell kaputt gehen, herausgekommen ist.
- Zum Üben war und ist der Drohnensimulator VelociDrone gut geeignet und vor allem auch für Linux zu haben.
- Dann war die Drohne an der Reihe. Ich habe sie komplett entkernt und einen neuen Flight Controller eingebaut, einen Eachine AIOF3. Allerdings habe ich zwei davon gleich geshreddert, weil ich vorher nicht lange genug Löten gelernt habe. Danach waren sie ausverkauft. Der dritte Versuch hat ohne Kurzschluß funktioniert. Auch wenn das dann versehentlich die Version des AIOF3 war, die kein RSSI-Signal übermittelt hat, so daß die Fernbedienung nicht anzeigen kann, ob die Drohne sich im kritischen Bereich der Reichweite befindet.
- In all dieser Zeit habe ich viel gelernt, über LiPo-Akkus, Löten, die Konfiguration von Betaflight und vieles mehr. Besonders hilfreich dabei waren auch die Videos von Project Blue Falcon, ich habe erst später erfahren, daß dessen Urheber, JC Culpepper bei einem tragischen Motorradunfall ums Leben gekommen ist und die FPV-Community in Absprache mit seiner Familie seine Videos und das Andenken an ihn weiterpflegt. Es ist gut, sich mit anderen (nicht nur) über Probleme austauschen zu können. Besonders freundlich ist dafür das FPVRacingForum.
- Die meisten Arbeiten funktionieren gut mit einem billigen Lötkolben, einem einfachen Multimeter und einem Multitool, aber irgendwann reicht das nicht mehr. Ein paar gute Pinzetten und Zangen helfen sehr, weil es sehr hilfreich sein kann, die Löt-Temparatur und -Spitzen anpassen zu können habe ich mich für die Lötstation HAKKO FX-888D entschieden, die es in sehr schönem Silber bei dem sehr zuverlässigen Händler TBK gibt. Viele gute Hinweise lasen sich auch auf der „Ultimate FPV Shopping List“ von Joshua Bardwell finden.
- Fehlten noch Kamera und FPV-Brille. Wer wenig Geld hat und nicht sicher ist, ob die Beschäftigung mit FPV eine Bleibende ist, sollte klein anfangen. Die EACHINE EV800D2 ist dafür ausreichend und vielseitig verwendbar. Wer mehr Geld zur Verfügung hat, aber auch nicht gleich 600 EURO ausgeben soll, ist mit der Eachine/Skyzone Cobra X gut bedient. Als Kamera habe ich eine Eachine TX02Pro besorgt. Sie verbraucht relativ viel und lässt sich eigentlich nur gut mit der Drohne fliegen, wenn sie einen kleinen Extra-Akku bekommt.
Etliche Wochen und Monate waren vergangen. Wer noch andere Interessen hat, braucht Zeit für all diese Dinge. Wenn Du deshalb nicht jeden Tag fliegen gehen kannst, ist es umso frustrierender, wenn Du auf Deinem Flugplatz ankommst und merkst, daß Du etwas vergessen oder falsch konfiguriert/zusammengebaut hast. Aber das gehört dazu, das ist Teil Lernprozesses. Um so schöner ist es dann, wenn die Drohne so fliegt, wie sie soll. Sie fliegt jetzt besser als je zuvor, natürlich ist sie am Ende immer noch eine Spielzeugdrohne: Sie ist behäbig, aber für mich fast immer noch zu schnell. Auch so läßt sich noch viel lernen. Insbesondere natürlich das Fliegen im Acro-Mode. Die Drohne wird dabei nicht automatisch stabilisiert, jede Fehlbedienung rächt sich. Wenn Deine 100-Euro-Drohne abstürzt, ist das weniger tragisch, als wenn eine 300 Euro-Drohne mit einer 300 Euro-Kamera an Bord auf dem Asphalt zerschmettert. Bis die Bauteile für den 7″ Quadcopter zusammengebaut sind, geht das Fliegen sicher noch viel besser.
Was „Reclaim the Luftraum“ angeht: Die neue Drohnen-Verordnung ist da. Wer FPV fliegen will, muss sich selbst und je nach Gewicht und Features auch seine Drohne registrieren, außer er möchte illegal fliegen. Einige deutsche FPV-Youtuber versuchen, ihren Zuschauern gleich eine Drohnen-Haftpflichtversicherung mit unterzujubeln. Wer bereits eine Haftpflichtversicherung hat, sollte aber erstmal prüfen, ob die Drohne dort nicht schon mitversichert ist, das ist nämlich meistens der Fall. Viele der Regeln in der Verordnung machen Sinn, um sich, andere und deren Privatsphäre zu schützen. Aber sie macht FPV-Piloten das Leben schwer und Menschen, die Drohnen fliegen lernen möchten, um Polizeidrohen etwas entgegensetzen zu können, ebenfalls.
Egal, wie spannend die Beschäftigung mit den fliegenden Augen auch sein mag, es geht immer noch spannender. Eine Kamera auf die Drohne schnallen und kinoreife Flüge filmen, Structure from Motion aus der Luft und Drohnen oder Flight Controller selbst zu programmieren machen nicht nur Spaß, sie sind Teil einer technologischen Selbstermächtigung.
Wiese im Wind (Musik: Hazy After Hours by Alejandro Magaña/mixkit.co):
Hier noch ein paar Lerneffekte:
- Es ist schade, daß es in Deutschland so wenig Kreativität in der Drohnentechnik gibt. Viele interessante Projekte, Bauteile und Produkte gibt es nur in den USA und China. Bestellungen aus China brauchen Wochen oder Monate bis sie ankommen, die aus den Staaten kosten Unsummen an Versand, das kann sich niemand leisten, europäische Distributoren sind oft rar. Hergestellt wird fast alles in China, um Geld zu sparen. Keine gute Idee.
- Wenn man viel Geld hat, kann man sich alles auf einmal kaufen. Man braucht aber nicht viel Geld, denn man kann sich die Bauteile auch nach und nach kaufen. Wenn mal was nicht passt – nicht schlimm, wieder etwas gelernt.
- Die neue DJI FPV Drohne können sich auch Leute mit viel Geld sparen. 1300 EUR (immerhin mit Fernbedienung und Brille) sind für eine Einsteigerdrohne ziemlich viel. DJI hat die Drohne für Einsteiger entwickelt, die nicht basteln und nicht crashen möchten. Beides ist aber fester Bestandteil von FPV. Kauf Dir für den Anfang lieber etwas günstigeres und spare das Geld oder spende es für einen guten Zweck.
- Die meisten Händler für solche Dinge haben grottige, komplett benutzerunfreundliche Online-Shops.
- In den Videos sind gut die Artefakte zu sehen, die bei Störungen der analogen Bildübertragung auftreten. Ich persönlich halte analoge Artefakte (glitches) für sehr ästhetisch, ästhetischer als digitale. Bei Drohneneinsatz in Kriegsgebieten können solche Artefakte Menschenleben kosten. Christian Heck hat dazu in seiner empfehlenswerten Arbeit operational glitches geschrieben: „Ich sehe den glitch nicht als glitch. Ich, als der-hier, z.B. der Drohnenpilot, welcher die Welt-dort zu sehen glaubt, ich weiß nicht, dass sich da ein Fehler eingeschlichen hat in meine Sicht auf Welt. Ich sehe nur das, was mir gezeigt wird, ich sehe durch Sehmaschinen, blinde Sehmaschinen. Ich identifiziere Menschen mit Hilfe von blinden Sehmaschinen, um sie dann mit einer, auf Grund dieser Identifikation, aus meinem sicheren Stützpunkt heraus gesteuerten Drohne, um diesen Menschen dann mit einer Hellfire zu töten.“
- Niemals starren Draht benutzen, um etwas am FC festzulöten. Bei einem Crash kann die Kraft so gross sein, daß der Draht das Lötpad auf dem FC herausreißt.
- Hunde mögen Drohnen. Drohnen mögen aber Hunde nicht. Flieg nicht, wenn Hunde in der Nähe sind.
- Das Umweltbewußtsein in der FPV-Community läßt zu wünschen übrig.
- Die Amerikaner haben den schönen Begriff „muscle memory“, das „Muskelgedächtnis“, wenn es darum geht, Fliegen zu lernen und Handlungsabläufe so oft zu wiederholen, bis sie intuitiv ausgeübt werden können.
- Wer sein Hobby zum Beruf macht, sollte immer noch mindestens einen zweiten Beruf haben.
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